Tennis Borussia trauert um Rudi Gutendorf

TeBe trauert um seinen ehemaligen Trainer Rudi Gutendorf, der in der Nacht auf Samstag im Alter von 93 Jahren verstorben ist.

Rudi Gutendorf, geboren 1926 in Koblenz, war eine der schillerndsten und interessantesten Persönlichkeiten des deutschen Fußballs. Als Aktiver spielte er zehn Jahre lang für die TuS Neuendorf, Vorläuferverein der heutigen TuS Koblenz. Sein größter Erfolg dieser Zeit dürfte der Einzug ins Halbfinale der Deutschen Meisterschaft 1948 gegen den 1. FC Kaiserslautern gewesen sein. Bereits während seiner aktiven Laufbahn begann er, erste Trainererfahrungen mit unterklassigen Teams zu sammeln. Sein Trainerdiplom schließlich absolvierte er 1952 beim ehemaligen Tennis-Borussen Sepp Herberger.

Ein Spitzname reichte nicht aus, um Rudis Persönlichkeit und seine zahlreichen Talente hinreichend zu erfassen. Er selber bezeichnete sich gern als „bunten Hund“, und das wurde seinem unkonventionellen Charakter durchaus gerecht. Kaum ein Zweiter dürfte so viele unterhaltsame Fußball-Anekdoten zu erzählen haben wie Gutendorf, kaum jemand agierte so schlitzohrig und kreativ wie er. Um seinen Starspieler Helmut Rahn „etwas aus den Kneipen fernzuhalten“, ließ er sich folgenden Trick einfallen: Er kaufte diesem ein Rennpferd auf der Trabrennbahn Dinslaken, um welches sich Rahn fortan täglich kümmerte.

„Rudi Rastlos“

Die Medien nannten Gutendorf auch gerne „Rudi Rastlos“. Eine mehr als treffende Charakterisierung für einen Mann, den Alltagstrott und Routine langweilten, der immer wieder zu neuen Ufern aufbrach, privat wie auch beruflich. Nie hielt er es allzu lang an einem Ort aus, dazu gab es viel zu viel Neues zu entdecken in der Fußballwelt, die sich für ihn tatsächlich über den kompletten Globus erstreckte. Dieser Neugier ist es zu verdanken, dass es Gutendorf in das Guiness Buch der Rekorde geschafft hat als derjenige mit den weltweit meisten Trainerstationen: 55 an der Zahl, verteilt auf 30 Länder.

Dass er jedoch nicht nur ein Paradiesvogel war, sondern auch ein gewiefter Tüftler, darauf deutet sein bekanntester Spitzname, „Riegel-Rudi“ hin, den er sich während seiner Tätigkeit für den Meidericher SV erwarb. Mit den Duisburgern, vor der Saison als Abstiegskandidat gehandelt, gelang ihm das Kunststück, mittels einer genau ausgeklügelten Defensivtaktik die Vizemeisterschaft zu holen.

Dinge, die heutzutage als letzter Schrei in Sachen Fußballtaktik gelten, predigte er bereits in den 60er Jahren: „Wir haben mit Angreifern verteidigt und mit Außenverteidigern gestürmt. Den anderen ist dazu nicht viel eingefallen. Und: Wir waren die fitteste Mannschaft, weil viel Laufspiel gefordert war.“

Mehr als nur Fußball

Dass sein Horizont jedoch immer über den Fußball hinausreichte, beschreibt die ebenfalls häufig auf Gutendorf angewandte Bezeichnung „Diplomat im Trainingsanzug“. Wiederholt verschlug es ihn in Krisengebiete. Der Pinochet-Putsch in Chile, wo er Nationaltrainer war, zwang ihn zur Flucht und brachte ihn um die Möglichkeit, sein Team während der WM-Endrunde 1974 zu betreuen. In den USA wurde ihm attestiert, dass sein bescheidenes Auftreten in angenehmem Kontrast zum Bild vom „kriegerischen Deutschen“ stand.

Auf Stationen wie in Ruanda gelang es ihm, Spieler verfeindeter Bevölkerungsgruppen zusammenzubringen. Sein Credo lautete: „Wo Fußball gespielt wird, wird nicht geschossen – außer mit dem Ball.“ Oft formulierte er den Traum, eines Tages eine Mannschaft aus israelischen und palästinensischen Kindern zu trainieren.

Auch für Tennis Borussia hatte „Rudi Rastlos“ nur ein Jahr Zeit. Dennoch hat er sich hier unvergesslich gemacht. TeBe war 1976 zum zweiten Mal in die Bundesliga aufgestiegen, Trainer Helmuth Johannsen hatte für die neue Saison jedoch bereits bei den Grasshoppers Zürich unterzeichnet. Ein neuer Coach musste her, und Manager Opitz entschied sich für Gutendorf. Die Begründung: „Wir wollten einen Trainer, der etwas darstellt.“

Kabarettist und Ur-Borusse Wolfgang Gruner scherzte: „In Berlin, wo die Fußballfans vom Nachbarklub Hertha BSC ganz andere Skandale gewöhnt sind, wirkt Gutendorf wie der resozialisierte Glöckner von Notre Dame nach einer Entziehungskur“.

Comeback der Kirchenmaus

Rudi Gutendorf arbeitete bei den Lila-Weißen nicht nur für das geringste Trainersalär der Bundesliga, sondern er hatte obendrein den Abgang der beiden wichtigsten Spieler der Aufstiegself zu verkraften, denn der Verein musste seinen Abwehrrecken Norbert Siegmann sowie den Torschützenkönig Norbert Stolzenburg verkaufen. Hätte er das geahnt, so äußerte Gutendorf damals, so hätte er den Vertrag nicht unterzeichnet.

Doch Gutendorf haderte nicht lange mit der Situation, sondern nahm die Herausforderung an. In seiner Biografie schreibt er: „Ich rührte die Werbetrommel, wo ich nur konnte, ich ließ mein goldfarbenes Sport-Cabrio versteigern, um Geld für Spielereinkäufe zu mobilisieren, und ich nahm mir viel Zeit für die Journalisten.“ Und tatsächlich setzte er einiges in Bewegung, entfachte Begeisterung im Verein und in der Stadt. Ein Anhänger stellte für Gutendorf einen VW als Dienstwagen bereit. Gutendorf schmunzelte: „Nun haben die tierlieben Berliner ihre arme Kirchenmaus wieder entdeckt.“

Und die Kirchenmaus sorgte für Aufsehen, mit ihren Siegen über Weisweilers 1. FC Köln und die Bayern mit Franz Beckenbauer. Im April 1977 konnte auch Lokalrivale Hertha BSC mit 2:0 bezwungen werden. Der Schwede Benny Wendt avancierte unter Gutendorf zum Goalgetter und Publikumsliebling der Stadt. Er bezeichnet Tennis Borussia bis heute als
schönste Station seiner Karriere. Und auch langjährige TeBe-Fans schwärmen nach wie vor von dieser Saison, auch wenn es an deren Ende nicht für den Klassenerhalt reichte.

Vom HSV nach Australien

Dass die Arbeit Gutendorfs in Berlin für Respekt gesorgt hatte, zeigte sich auch darin, dass er im Anschluss durch den ambitionierten Hamburger SV verpflichtet wurde, mit Stars wie Felix Magath, Manfred Kaltz und „the mighy mouse“ Kevin Keegan. Sein Engagement dort hielt nur wenige Monate, bevor es ihn ans andere Ende der Welt verschlug: Der Weltenbummler wurde Trainer der australischen Nationalelf.

Dort fand er auch sein privates Glück, er lernte seine Frau Marika kennen, mit der er nach seinem Karriereende in Neuwied lebte. Zwischen Australien und Neuwied jedoch lagen erstmal noch 14 weitere Auslandsstationen sowie noch einmal ein Bundesliga-Intermezzo.

Zum Abschluss seiner Laufbahn schließlich kehrte Rudi zu seinen Ursprüngen zurück: Er wurde „Ehren-Coach“ der TuS Koblenz International, einem ausschließlich aus Geflüchteten bestehenden Team der TuS Koblenz, seiner gewissermaßen 56. Trainerstation.

Letzten Besuch verpasst

Wir sind sehr glücklich, dass wir auch in den vergangenen Jahren noch sporadischen Kontakt zu Rudi Gutendorf hatten. 2010 unterstützte er die Kampagne „We save TeBe“ und zeigte sich sehr interessiert an der Situation der Veilchen. Noch mit knapp 90 bot er sich an, Tennis Borussia als Trainer zu helfen, sollte einmal Unterstützung benötigt werden. Sein Enthusiasmus und sein Selbstbewusstsein waren immer noch ungebrochen.

Im Mai dieses Jahres hätte er um ein Haar noch einmal auf der Trainerbank gesessen. Der Einladung zum TeBe-Legendenspiel im Werner-Seelenbinder-Sportpark konnte er jedoch nicht folgen, da für diesen Zeitpunkt bereits ein Familienurlaub auf Teneriffa geplant war. Gleichzeitig machte es uns sehr froh zu hören, dass es Gutendorf immer noch recht gut ging.

Am Freitagabend erst hatte Tennis Borussia das Vorhaben gefasst, die verpasste Gelegenheit vom Mai nachzuholen und ihn für Januar nächsten Jahres nach Berlin einzuladen. Wir sind sehr traurig, dass dieses Wiedersehen nun nicht mehr zustande kommen wird.

In der Nacht zu Samstag ist Rudi Gutendorf im Beisein seiner Familie nach einem erfüllten Leben friedlich eingeschlafen. Rudi Gutendorf wird eine große Lücke hinterlassen. Er wird unvergessen bleiben – bei den Fußballfans in aller Welt und nicht zuletzt auch bei Tennis Borussia Berlin. Unser Mitgefühl gilt seiner Frau Marika und seinem Sohn Fabian, denen wir viel Kraft wünschen.

Mach es gut, Rudi!

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