Dissonanzen

27. April 1930: Hertha BSC gegen TeBe 3:1

Die 30er Jahre – neues Jahrzehnt, neue Fortune?

Danach sieht es zunächst nicht aus. Tennis rackert sich zur Abteilungsmeisterschaft – die Saison 1929 / 30 kostet viel Kraft –, um sich in der Endrunde um die Berliner Meisterschaft den Weddingern zu stellen. Nichts Neues für die Berliner. Beide Mannschaften dominieren – mal mehr, mal weniger – ihre Abteilung, und am Ende gewinnt Hertha den Meistertitel. 3 zu 2 und 3 zu 1 diesmal. Das ist frustrierend. Worte des Trostes, Erklärungsversuche aus der Feder Otto Wieses. Trotz großer Chancen, trotz schönem Feldspiels wollte einfach nichts gelingen, womit am 27. April die frühe 0:1 Führung für die Lila-Weißen entscheidend ausgebaut werden konnte.

Pech? Gewiss, aber nur zum Teil. Es zeigte sich wieder (der beste Beweis ist die Duplizität), dass Glück letztens Endes nur der Tüchtige hat. … [A]ber seien wir mal ehrlich, mit der Erklärung des ‚unglücklichen‘ Spiels treffen wir die Sache nicht. Eine Mannschaft, die trotz trotz schönen Feldspiels, trotz bester Möglichkeiten in beiden Spielen den entscheidenden Vorsprung nicht erzielen kann, darf man nicht als nur unglücklich bezeichnen. Wir sind, das müssen wir schon eingestehen, der immer noch besseren Hertha unterlegen. Ehrenvoll! Sehr ehrenvoll! Der Unterschied zwischen Hertha und uns ist ein geringer aber doch entscheidender geblieben. Mit dieser Anerkenntnis verbinden wir den auch hier wiederholten herzlichen Glückwunsch für den alten, neuen Meister. Und wir sagen unserer Mannschaft, dass sie uns trotz allem Freude bereitet hat. Nach hartem Kampf erst, nach stärkster Gegenwehr, nach Spielen, die beide lange in unserem Zeichen standen, sind wir dem schließlich besseren Gegner knapp unterlegen. So Zweiter zu werden, das ist wirklich ehrenvoll.

Und so gerät die vergeigte Meisterschaft zu einer erbittert geführten Diskussion um die Ursachen. Der Gegner hat das in seinem Sturm, was uns noch fehlt, aber auch kommen wird: Die letzte Entschlossenheit, Chancen auszunützen. Doch es ist nur vordergründig ein sportliches Problem. Dahinter steht die Frage, ob und, wenn ja, wieviel Geld in Erfolg investiert werden darf:

Sport soll nicht zum Geschäft herabsinken. Und doch muss heute ein großer Verein, wenn er an der Spitze bleiben will, auch die geschäftliche Seite des Sportes sehr stark beachten. Die finanziellen Anforderungen an die Vereinskasse sind so stark, dass eine Nichtbeachtung dieser kaufmännischen Grundlagen dem Verein die Grundlage entziehen würde.

Diese Debatte um Amateurismus versus Profisport, um Ausverkauf und Geschäftemacherei wird im ganzen Land geführt. Sie ist hoch ideologisiert und rührt Emotionen auf, die sich unversöhnlich gegenüberstehen. Hier die Idealisten, die Sport als Allheilmittel für Volk und Vaterland anpreisen, dort die Realisten, die Spitzensport auf der Höhe seiner Zeit sehen wollen.

Auch bei den Veilchen tobt der Sturm, und es tun sich Gräben auf, die unüberbrückbar scheinen. So sehr, dass sich verdiente Funktionäre und langjährige Gönner des Vereins zum letzten Schritt entscheiden. Georg Michaelis, Vorstand und Funktionär in verschiedenen Verwendungen, ist einer der Architekten der lila-weißen Zwanziger. Er war es, der zusammen mit seinem Kompagnon Max Berglas es erst ermöglicht hatte, dass Leistungsträger wie Sepp Herberger zu den Veilchen gelotst werden konnten. In ihrem Bankhaus hatte Seppl für die Zeit seines Studiums an der Deutschen Hochschule für Leibesübungen eine pro forma Anstellung gefunden. Und nur dadurch waren die materiellen Grundlagen für den späteren Weltmeister-Trainer gegeben, um von Mannheim nach Berlin zu ziehen.

Nach einem heftigen Streit mit Dr. Kuttner, dem 1. Vorsitzenden, tritt Georg Michaelis aus dem Verein aus:

In einer Aussprache zwischen Herrn Dr. Kuttner und Herrn Michaelis hat sich herausgestellt, dass die Gründe, welche Herrn Michaelis zum Austritt bewogen haben, auf gegenseitigen Missverständnissen beruhten. Nachdem diese restlos geklärt sind, ist Herr Michaelis wieder unser Mitglied. Wir freuen uns über den Wiedereintritt des Herrn Michaelis und sprechen an dieser Stelle die Hoffnung aus, dass wir an Herrn Michaelis weiter den treuen Mitarbeiter haben werden, als welchen wir ihn stets geschätzt haben.

Es ist nicht überliefert, worüber sich die beiden Vorstände derart in die Haare bekommen hatten (bei TeBe wurde der Vorstand jährlich neu besetzt, und Michaelis hatte den Posten in der Vergangenheit mehrfach inne). Die Gleichzeitigkeit der Nachrichten in der Vereinszeitschrift zeigt aber, wie sehr der Verein und sein Apparat unter Druck gestanden haben mögen. Die Erwartungshaltung der Mitgliedschaft und Anhänger jedenfalls ist hoch. Geschäftsführer Hasselfeldt beklagt, dass die Geschäftstelle nicht der richtige Ort ist, um seine Meinung zum besten zu geben. Man möge also davon absehen, ihn persönlich, mittels Telefonanrufen oder Postkarten mit Aufstellungsvorschlägen die Zeit zu rauben.

Der Geschäftsführer ist schließlich ausführendes Organ des Vorstandes. Gewiss soll er auch eigene Gedanken haben. Er soll sich aber noch lange nicht zum Sprachrohr eines jeden Mitgliedes machen lassen. In dieser Hinsicht darf wohl die Bitte geäußert werden, dass in Zukunft etwas weniger telefoniert wird. Das Telefon soll auch geschäftlichen Notwendigkeiten dienen und nicht dem Unterhaltungsbedürfnis Einzelner. —

Solches Mitteilungsbedürfnis gehe einher mit einem auffallenden Desinteresse nach Niederlagen. Vereinsinteresse ist gut. Muss sein. Aber es muss sich nicht nur dann äußern, wenn es gilt, Siege zu feiern, sondern es muss sich auch zeigen, wenn verloren wurde. Und da muss leider festgestellt werden, dass es in diesen Fällen sehr stark mangelt. Gerade in den diesjährigen Entscheidungsspielen erwies sich das ganz klar. Wo waren all jene, deren Einlassungen vorher in eine Form gekleidet waren, als ob die Seeligkeit des Lebens von der Befolgung ihrer Vorschläge abhing?

Die Erwartungshaltung des Berliner Publikums, das Erfolge und sonst nichts zählen lässt, stößt am Vorabend des Dritten Reichs auf eine hoch ideologisierte sportpolitische Debatte, in der beide Lager unversöhnlich aufeinanderprallen. Dem rigiden Amateurgedanken zu folgen, hieße, Publikum, Anhänger und Mitglieder zu enttäuschen; hieße, Sport zu treiben auf dem Niveau des Breitensports, wie man es heute nennen würde. Die Debatte reichte bis weit in die bürgerlichen Sportvereine hinein, wie das Beispiel des Berliner Tennis-Club „Borussia“ illustriert. Sie drohte zur Zerreißprobe zu werden.