Löwen. Eisbären. Raubritter.

Sommer 1929. Ist die Katze nicht im Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch.

Tennis Borussia ist auf Norddeutschlandreise, und daheim in Berlin stimmt die Presse den Abgesang auf die Veilchen an. Als (potentielle) Königsmörder werden gleich zwei Vereine ausgemacht: Viktoria und Wacker.

Nach einer Lesart streckte der Löwe von Mariendorf seine Tatzen gewaltig nach der Meisterschaft, und, weiß der Teufel, nach noch was Allem. Nach einer anderen Lesart war ganz hinten am Berliner Nordpol, wo die Eisbären sich gute Nacht sagen, plötzlich aus dem so wenig fruchtbaren Boden ganz ohne Aufsehen und mitten in der Nacht eine Mannschaft entstanden, die natürlich ohne Zweifel vollkommen dazu berufen ist, das Erbe von Tennis-Borussia und Hertha anzutreten.

Die derart Totgeschriebenen wissen nichts von ihrem Unglück. Sie befinden sich auf großer Fahrt. Die Veilchen hatten zu Beginn der Sommerpause den Sporting Club „Kairo“ empfangen. Jeder von ihnen führte den Ball mit einer Eleganz, dass es eine Freude war, diesen Leuten zuzuschauen. Die beiden Begegnungen endeten 2:2 und 5:2 für die Lila-Weißen. Danach brechen die Berliner nun zu einer ausgedehnten Norddeutschlandtour auf. In Bremen trifft man auf Einladung des Senats im Weser-Stadion am 27. und 28. Juli gleich auf zwei verschieden kombinierte Stadtmannschaften – Repräsentativmannschaften also, besetzt mit den stärksten Spielern aller Bremer Vereine. Die Berliner Equipe lief allmählich zu hoher Form auf und ohne große Mühe wurde das Resultat von 12 : 3 erreicht. Auch das zweite Spiel kann – gegen einen stärkeren Gegner – gewonnen werden, 3 : 0. Am Samstag, 10. August, müssen die Veilchen sich mit einem 3 : 3 gegen Fortuna Düsseldorf begnügen, am Sonntag, 11. August verspeisen die Berliner Spiel und Sport-Barmen (5 : 2), und am 25. August reicht es in Hamburg gegen den SV nur zu einem Unentschieden, 1:1.

Diese Freundschaftsspiele sind eminent wichtig, denn sie stellen unter der eisernen Herrschaft des Amateurstandpunkts im deutschen Fußball eine der wenigen Einnahmequellen dar, um trotzdem Spitzensport zu finanzieren. Und so kommt es, dass Spieler wie Lux oder Brunke, die es zusammen auf 26 Jahre im lila-weißen Trikot bringen, jahrein, jahraus an (fast) jedem Wochenende ihre Töppen für die Veilchen schnüren.

Da sehnt man sich schon einmal nach Ruhe und Erholung. Warum also nicht die Gelegenheit nutzen, wenn man ohnehin schon in der Region ist? Auf Initiative der Mitglieder Juppe und Frick schippert der lila-weiße Dampfer nach Wennigstedt, Sylt. Hanne Brunke ist ob der Aussichten, die sich ihm am Strand bieten, begeistert:

Das Leben an der See spielt sich ja fast nur in der Burg ab – unser Burgleben war bestens geregelt; während die Älteren mit ihren Frauen die Burg zu bewachen hatten und Innendienst hatten (der darin bestand, sich in die Sonne zu legen und verbrennen zu lassen) gingen die Jüngeren auf „Eroberungen“ aus, und es sollen dabei nicht nur Burgen eingenommen worden sein. Unsere kleidsame lila-weiße Ritterrüstung hat uns dabei so manchen Erfolg ermöglicht.

Während sich am Strand von Sylt also die lila-weißen Raubritter mit ihren Eroberungen im sportlichen Ruhm sonnen, schallt es aus dem Berliner Blätterwald, der König ist tot! Lang lebe der König!

Alfred Lesser ist amüsiert:

Also liebe Tennis-Borussen, seit Jahren arbeiten wir an uns. Seit Jahren stehen wir intensiv unter Leitung eines Trainers und beschäftigen uns mit dem Gedanken, unsere Stellung zu halten. Jahre hat es gedauert, um zur deutschen Extraklasse zu gehören. Andere Vereine schaffen dies nun über Nacht (wie niedlich!).

Allein — es bleibt ein Sturm im Wasserglas. Nach drei Spieltagen präsentiert sich das gewohnte Bild. TeBe führt mit einem Punkt vor Minerva und je vier Punkten vor Viktoria und Wacker die Tabelle an.