Auch eine Tradition

25 Jahre Tennis Borussia

Was machen Fußballfans, wenn es sportlich einmal nicht so gut läuft? Richtig, sie feiern sich selbst:

Wir gehen voran
als euer zwölfter Mann,
bei Hagel und Wind,
bei Regen und Schnee,
Lila-weiße allez.

Im Sommer 1927 klingt das Fußballlied so:

Regen und Schnee und Sturmgebraus
halten niemals uns zu Haus!

Und dabei hatte alles so schön angefangen. Am 9. April 1927 wurde der Berliner Tennis-Club „Borussia“ 25 Jahre alt. Doch anstatt das Jubiläum mit festlichem Gepränge zu begehen werden eine Festschrift verfasst und Artikel für die Club-Nachrichten. Man hält Rückschau wie Jacques Karp:

Am 9. April 1902 setzte sich eine erlesene Schar sportfreudiger Jünglinge zusammen und gründete die Berliner Tennis- und Ping-Pong-Gesellschaft „Borussia“.

Man gedenkt der Freunde, die im ersten Weltkrieg fielen:

Schwere Jahre voller Sorge um die unmittelbar Beteiligten, von denen viele gefallen sind, denken wir an Markus Schmidt, Alfred Kaiser, Hugo Sömmering und wie sie alle heißen die Lieben, die uns jäh entrissen wurden.

Schaudernd kuckt man auf alte Kämpfe, nach dem Krieg, als aus der großen Familie Kliquen wurden mit sich befehdenden Strömungen und Tendenzen, der Ruhm wuchs, doch das Herz wurde kühler.

Mit offenem Visier werden, etwa von Willi Braubach, aktuelle Kämpfe angenommen. Die Frage nach der Bedeutung des Geldes für den Sport treibt (immer noch) um, denn um im sportlichen Wettbewerb mit den anderen Vereinen bestehen zu können, müssen Verpflichtungen eingegangen werden, deren Höhe in gar keinem Verhältnis zu finanziellen Leistungsfähigkeit der Vereine steht. Harsche Kritik an den Verbänden macht sich Luft, die nur an die eigenen Finanzen denken, die Zwänge aber, denen sich die Vereine ausgesetzt sehen, geflissentlich übersehen. Dazu tritt eine Auffassung vom Sport, die jeder Vernunft spottet:

Wir leben heute in einer Zeit, in der so viel von Rationalisierung gesprochen wird. Der Sportbewegung sind derartige Gedankengänge vollkommen fremd geblieben. Möglichst viel Vereine mit möglichst wenig Mitgliedern und möglichst hohen Schulden ist hier der Grundsatz.

Bei solchen Untiefen darf man sich auch einmal auf die Schultern klopfen – und das eigene, etwas andere Milieu feiern. Carl Koppehel:

Tennis-Borussia galt als Pionier des Sportgedankens eigener Art. In seiner Werbearbeit wandte sich der Klub an Kreise, die andere freiließen, die zu gewinnen aber ein dankbares Feld und ein wertvolles Beginnen war.

Namentlich die Rekrutierung von Nachwuchs in den liberalen, (groß)bürgerlichen Schulen führt nicht nur zu einer erfolgreichen Akademikerabteilung, sondern zur Akademisierung des Sports selbst. Der methodische Blick wendet sich dem Sport zu und erkennt rasch Notwendigkeiten, die anderswo mit einem Achselzuckel abgetan werden. Richard Girulatis gilt als einer der ersten Trainer im deutschsprachigen Sport. Wie sein Nachfolger als Trainer der Veilchen, Otto Nerz, lehrt er an der 1920 gegründeten Deutschen Hochschule für Leibesübungen. Carl Koppehel ist einer der ersten bezahlten Geschäftsführer, und Dr. Adolf Wisotzki einer der ersten Sportärzte im deutschen Fußball.

Und natürlich dürfen die Spezialisten anlässlich des ersten Vierteljahrhunderts der Berliner Veilchen in der Festschrift auch ein wenig fachsimpeln. Reichstrainer Nerz widmet sich einer Herzensangelegenheit: Man kann auch ohne Alkohol gemütlich sein. Dr. Wisotzki erteilt dem Sportarzt das Wort, und streift alle relevanten Themengebiete: der Aufgabe des Sportarztes, Sport und Hygiene und, last not least, den Verletzungen auf dem Fußballfelde und erste Hilfe bei Unglücksfällen. Im letzten Satz seiner Ausführungen markiert ein Wort den Unterschied, der bald ein tödlicher sein wird:

Denn dadurch wird es möglich sein, statt Krankenhäuser Spiel- und Sportplätze zu bauen und eine gesunde und kräftige Menschheit herauszubilden.

Nicht Volk, schon gar nicht Rasse, sondern eben Menschheit.

Der eigentliche Festakt zum 25jährigen wird auf dem Rasen ausgetragen. Mit einem Jubiläumsturnier, wie es sich gehört. Allerdings erst Monate später, weil die Ligapause von März bis Juli für zuschauer- und damit einnahmeträchtige Freundschaftsspiele gegen attraktive Mannschaften aus dem In- und Ausland reserviert ist.

Samstag, 13. August. Die Veilchen treten gegen den amtierenden holländischen Meister Heracles-Almelo an und siegen 8:1. Der Dresdner SC besiegt Viktoria 4:2.

Sonntag, 14. August. Viktoria schlägt Heracles-Almelo 7:1, und der DSC die Tennis Borussen 5:0.

Eine einzige Enttäuschung! Einmal weil das Berliner Publikum vom sportlichen Dauerbetrieb übersättigt ist, und nur 7.000 sowie 10.000 Zuschauer das Jubiläumsturnier sehen wollen.

Zum anderen: Heracles-Almelo!

Heracles-Almelo! Die große Enttäuschung! Erwartete man von ihnen auch nichts besonderes bezüglich der Spielkultur, so hoffte man doch, sie würden als holländischer Meister „holländisch“ spielen, schnell, voller Energie, mit stärkster Konzentration auf den Erfolg. Aber sie zeigten auch davon nur sehr wenig, konnten nicht viel zeigen, weil die technischen und taktischen Grundlagen gar zu gering waren. Die Achtung, deren sich Hollands Nationalmannschaft erfreut, lässt uns diesen Meister als Rätsel erscheinen.

Und Tennis? Auch das eine Tradition:

Unserer Tradition getreu vermochten wir auch hier den ersten Platz nicht zu erreichen, mussten diesen vielmehr den besseren Dresdner Sportklub überlassen. Wir waren insofern nicht traditionsgemäß, als wir den uns bisher immer reservierten 2. Platz an die gleichfalls Besseres als wir leistende Viktoria abtraten; uns blieb der „ehrenvolle“ 3. Platz vor Heracles-Almelo.

Was solls:

Regen und Schnee und Sturmgebraus
halten niemals uns zu Haus!