Die Spiele gegen den Club Français 1924
Freitagabend, 17. Oktober 1924. Ein kleines Grüppchen aus Spielern der Tennis Borussia, ihren Betreuern und Berliner Schlachtenbummlern besteigt den Nachtzug Richtung Köln, von wo aus es weiter nach Paris geht. Man macht sich auf den Weg zu einem ganz besonderen Spiel: TeBe soll als erste deutsche Mannschaft sechs Jahre nach Kriegsende mit dem Club Français gegen einen französischen Verein antreten.
Ein Telegramm Sim Leisers, des alten Internationalen, der in begeisterten Worten den jungen Tennis-Borussen die Schwere und Verantwortung ihres Handelns vor Augen führte, löste vollen Beifall aus.
Frankreich – 1924 noch immer ein Reizwort. Der Erzfeind der Deutschen! Und so gerät dieses Fußballspiel bereits im Vorfeld zu einem Politikum: Vor allem aus dem süddeutschen Raum seien die Veilchen angefeindet worden, berichten die Clubnachrichten. Tennis könne den deutschen Fußball und die deutsche Art nicht würdig vertreten, lauten die Vorwürfe.
Namentlich aus der Gegend, wo ein Liter knorkes Bier 250 Papier-Milliarden kostet, ertönten blutrünstige Töne…
In der Tat, auf den ersten Blick ist nicht recht ersichtlich, weswegen die Wahl auf die Veilchen fällt. Selbst in Berlin ist TeBe trotz des 3:1 Erfolges gegen Hertha BSC vom August 1924 nur die Nummer zwei hinter dem Lokalrivalen aus dem Wedding. Geschweige denn, dass man den amtierenden Deutschen Meister, den Nürnberger Club, gefragt hätte, wie das Sportblatt enttäuscht notiert. Der Verband erklärt die Entscheidung zugunsten der Borussen gegenüber der Fußballwoche, man habe die Zustimmung erst gegeben, als man sicher war, eine Mannschaft gefunden zu haben, die nicht nur spielstark sei, sondern sich auch mit Takt und verständnisvollem Auftreten in Paris auszeichnen werde.
Bevor an die Ausrichtung des Spiels zu denken ist, müssen intensive Verhandlungen geführt werden. Der DFB beharrt darauf, dass der französische Verband eine offizielle amtliche Erklärung herausgibt, nach welcher er seinen Vereinen den Verkehr mit deutschen Vereinen freigab. Selbst die deutsche Botschaft in Paris schaltet sich in die Gespräche, damit das Spiel stattfinden kann.
Doch trotz der aufgeladenen Atmosphäre bleibt die lila-weiße Reisegesellschaft heiter. Rund 300 Berliner verabschieden die Mannschaft am Bahnhof Friedrichstraße: Hipp Hipp Hurra! Kaum im Zug, macht die erste Cognacflasche ihre Runde, Zigarren werden gequalmt, Skatgruppen gebildet (Aute Weber beschummelt TeBe-Vorsitzenden Ulrich Rüdiger), es wird gesungen und mit den mitreisenden Damen geschäkert. Am Abend bekommt Onkelchen Ansbach, ein Borusse im Kleinkindalter, eine wohlgezielte Morphium-Spritze, um den Schlaf der anderen Veilchen nicht zu stören. Es war scheinbar nicht genug, denn von 4 Uhr ab stört Onkelchen der Nachbarn Ruh‘, aber schließlich müssen wir alle ja mal aufstehen. Die Damen sind mit zuerst auf der Bildfläche, guten Morgen, guten Morgen, noch einmal etwas Puder aufs Gesicht und man ist in Köln.
Umsteigen nach Paris. Peco Bauwens, Präsident des DFB von 1950 bis 1962, hat, an dieser Stelle Dank dafür, uns einen Wagen reservieren lassen. Als der Zug schließlich im Gare du Nord einrollt, macht sich Aufregung bemerkbar: Staunend beschreibt Carl Koppehel in der FuWo seine ersten Eindrücke. Die vielen Autos – unübertrieben Hunderte von Autos! –, Ampelanlagen, die in Berlin noch unbekannt sind, überraschen die Berliner ebenso wie das Pariser Essen, dessen Portionen für den Berliner Geschmack viel zu klein sind, und die zahlreichen Freuden des Nachtlebens. Jack Karp notiert über die Recherchen eines Journalisten:
Die einzelnen Entdeckungsreisen sollen die mannigfaltigsten Ergebnisse gehabt haben. Immerhin war es mir interessant festzustellen, dass der Berichterstatter des Rasensport seine Eindrücke nicht nur auf dem Sportplatz, sondern auch auf dem Montmartre sammelt.
Sonntag, der 19. Oktober 1924, in der Buffalobahn, der ersten überdachten Zementradrennbahn der Welt. Unter Leitung des Trainers Otto Nerz, der erst am Vormittag aus London nach Paris anreist, laufen die Veilchen vor rund 15.000 Zuschauern im Stadion auf: Patrzek im Tor, die Stürmer Schröder, Passan, Theiß, Raue, Reiff, die Mittelläufer Eschenlohr, Lux, Gläser und die Verteidiger Weinert und Brunke. Die Mannschaften tauschen die Wimpel, dann der Anpfiff.
Von Beginn an ist Tennis drückend überlegen. Drei Freistöße der Veilchen gehen über das französische Netz bevor eine schöne Kombination über Schröder und Passan auf Theiß zum 1:0 führt. Danach kommen die Franzosen über den rechten Flügel besser ins Spiel, bis Schröder nach einem Durchmarsch in der 36ten Minute zum 2:0 erhöht. Pause. Sofort nach Wiederanpfiff gerät die Verteidigung der Franzosen erneut ins Schwimmen, kann einen Angriff der Berliner nur mühsam zur Ecke abfälschen. Wieder gelingt es der Pariser Equipe kurzzeitig, das Spielgeschehen stärker in die Berliner Hälfte zu verlagern, doch ein glänzend aufgelegter Conni Patrzek verhindert den Anschlusstreffer. Dann ein schneller Angriff von Raue zu Schröder: 3:0. Als kurz vor Abpfiff ein Pariser Stürmer allein vor dem Berliner Tor auftaucht, kann der Keeper der Lila-Weißen den Schuss aus zehn Metern nicht halten, 3:1, der Ehrentreffer ist geschafft. Nach dem Ende einer fairen Partie ist die Verwunderung über das Pariser Publikum, das feiert, als hätte gerade die eigene Mannschaft gewonnen, fast größer als die Freude über den verdienten Sieg. Insbesondere Hermann Lux und Conni Patrzek erhalten für ihre Leistungen rauschenden Applaus.
Genau einen Monat später trifft die Pariser Mannschaft zum Rückspiel im Moabiter Poststadion am 19.11.24 ein. Unter dem Eindruck der Niederlage in Paris verstäkt sich der Club Français um Spieler der Vereine Olympique Paris und Red Star Paris. Allein, es hilft alles nichts. Vor 6.000 Zuschauern beweisen die Borussen erneut ihre Überlegenheit und siegen 5:1 eher zu knapp als zu hoch, weil zahlreiche Hundertprozentige vertändelt werden, wie einige Presseberichterstatter monieren. Wie schon in Paris feiert man nach dem Spiel zusammen mit den Franzosen ein Bankett. Und bevor gegen 1:00 Uhr morgens die Veranstaltung aufgelost wird, gibt der offizielle Vertreter des DFB, Linnemann — DFB-Präsident von 1925 bis 1945–, den Tennis Borussen mit auf den Weg:
Groß und gefährlich war das Unternehmen, und, meine Herren, seien Sie überzeugt, so groß die allgemeine Sympathie nach dem Gelingen heute ist, gesteinigt hätte man Sie, wäre der Verlauf ein anderer geworden.