- Die Spiele um die Berliner Meisterschaft 1928
- Teil I: 4. März 1928
- Teil II: 18. März 1928
- Teil III: 15. April 1928
Das schlechte Horoskop
Für das Rückspiel prophezeit Mannschaftsarzt Dr. Adolf Wisotzki der Ersten Herren ein schlechtes Horoskop. Schlecht war es um die Aussichten von TB zum zweiten Spiel bestellt, Schröder durch Muskelriss außer Gefecht gesetzt, Lux Beine nicht in Ordnung. Dr. Wisotzki besänftigt das schlechte Omen und sein angeschlagenes Nervenkostüm mit Kaffee und Kuchen. Einem on dit zufolge soll er es sehr gerne getan haben. Er nimmt auch jetzt schon Wetten für das dritte Spiel gegen Tennis an!
Auch die Mannschaft arbeitet am Karma: Als sie 15:15 Uhr ins Stadion einmarschiert, verweigert sie das obligate Mannschaftsphoto. Soll dies ein günstiges Omen sein? Pünktlich gibt Schiedsrichter Zander unter dem Jubel der voll besetzten Ränge das Leder frei. TB hat Anstoß und nach kurzem Geplänkel im Felde muss Konni die erste Bombe von Gülle halten. Doch trotz leichter Überlegenheit der Herthaner steht die Läuferreihe der Veilchen wie ein eherner Fels.
10 Minuten vor Abpfiff der ersten Halbzeit bekommt Hoffmann den Ball zugespielt, schiebt ihn nach innen, Hertha Keeper Gehlhaar verfehlt, und unter einem Wust von Menschenleibern konnte Raue II ihn über die Linie befördern. Freude herrschte in Trojas Hallen, die aber bald einer tiefen Trauer weichen musste.
Bei der Abwehr eines hohen Balles karambolierte Patrzek mit Lux, besinnungslos blieb der wackere Konni liegen, so daß er auf einer Bahre ins Verbandszimmer fortgetragen werden mußte. Neben dem größten Mitleid mit dem braven Patrzek bemächtigte sich aller TB-Anhänger eine unendliche Depression. Sollte Fortuna auch diesmal gegen uns sein; sollten sich auch diesmal alle guten Geister wider uns verschworen haben? Bis Halbzeit nahm Raue I den Posten zwischen den Pfosten ein, der Halbzeitpfiff erlöste alle Zuschauer für einige Zeit von dem schweren Alp. Wird Patrzek wiederkommen oder wird TB. wieder auf 10 Mann reduziert, ihrer stärksten Waffe beraubt, gegen den mächtigen Gegner streiten müssen? […]. Eine Verletzung des Kiefers lag glücklicherweise nicht vor, doch bestand noch ein schwerer Schockzustand und eine breit klaffende Kieferwunde. Sachgemäße Hilfe und psychische Einwirkung verfehlten nicht ihre Wirkung, und nach 10 Minuten Erholung betrat Patrzek, am Kinn wie ein edles Renntier verpflastert, wieder das Spielfeld, aufs lebhafteste vom Publikum begrüßt. Hanne Schröder hätte ihn am liebsten umarmt, er konnte sich über Patrzeks Erscheinen gar nicht genug freuen.
Als Veilchen Goalie Patrzek den Platz betrat, war er von einem so selten herzlichen Beifall des … Publikums umbraust, dass er alles vergas und – lächelte. Lachen konnte er nicht – daran hinderte ihn seine Kieferverletzung – so lächelte er denn und gab seiner Freude Ausdruck über die Anteilnahme der Sportkameraden.
Für dieses selige Lächeln ernannte ihn die Berliner Morgenpost zum ersten Preisträger im Sechs-Tage-Lächeln.
Wie hätte dieses Spiel noch verloren werden können? Gar nicht! Eine Viertelstunde vor Schluss nimmt Hertha-Keeper Gehlhaar den Ball auf. Die Gebrüder Raue spritzen heran, bedrängen ihn, und zum Entsetzen der Hertha-Anhänger lagen Torwächter und Ball im Netz. Tor! Tor! Tor!
Die Freudenszenen, die sich jetzt abspielten, lassen sich nicht beschreiben. Ich wünschte, ich wäre ein Dichter, um sie in Worte und Verse kleiden zu können. Hüte und Fahnen flogen, die Spieler umarmten sich, die Partie war gewonnen.
Doch noch sind 15 Minuten zu spielen. Hertha drückt mächtig, aber die Veilchen halten Stand.
42te Minute. Konni verpasst einen hochspringenden Ball, Kirsei netzt mühelos ein. 2:1.
Wird Hertha noch aufholen? Eisern und fest wie eine Mauer stand die TB-Verteidigung, … noch 2 Minuten, noch eine, noch eine halbe – Schluss – Abpfiff! Gewonnen, gewonnen!