„Prediger in der Wüste“

7. März 1926: TeBe gegen BSV Schmargendorf ~ Trainer Otto Nerz hält einen Vortrag

TeBe-Coach Otto Nerz ist hauptberuflich Hochschullehrer. An der Deutschen Hochschule für Leibesübung. Vor versammelter Mannschaft hält er einen seiner berüchtigten Vorträge. Über „Sport und Alkohol“. Aber Otto Nerz ist sich der Vergeblichkeit seines Dozierens wohl bewusst. Schon aus — sagen wir — soziologischen Gründen:

Die meisten Sportsleute sind vom Elternhause, der Pension oder der Kneipe in Bezug auf ihre Ernährung abhängig, und die besten Ratschläge sind zwecklos wegen der Unmöglichkeit ihrer Durchführung.

Trotzdem gilt:

Wer wenig schläft, sich ungenügend oder unzweckmäßig ernährt, wer zu viel trinkt oder ausschweifend lebt, dem wird das Ueben keine Kraftquelle sein. Vielmehr wird es den Kräftezerfall und die Zerrüttung des Organismus beschleunigen.

Alkohol also. Alkohol ist (zudem) schädlich:

Bier, Wein und Schnaps enthalten zudem noch ein gefährliches Gift, den Alkohol.

Aber: Der Nachteil des Alkoholgenusses liegt nicht so sehr in der eigentlichen Giftwirkung:

… in dem Rauschzustand [sind] die sittlichen Hemmungen so gut wie nicht mehr vorhanden, folgen auf dem[sic!] Alkoholgenuss häufig sexuelle Ausschweifungen. Eine Kette ohne Ende.

Teufel auch. Sportsleute! Sollte das (wieder) Eure Zukunft sein? Vor dem Kriege hatten die deutschen Männer von 30 bis 50 Jahren den größten Bauchumfang in Europa… Aber, ach, alles Perlen vor die Säue:

Wenn ich an die Abende im Nordischen Hof oder im Nord-Nordwest-Kasino denke, komme ich mir vor wie ein Prediger in der Wüste.

Am Abend auf den 7. März 1926 jedenfalls haben die Herren in den lila-weißen Jerseys keine Kette ohne Ende ins Rollen gebracht. (Oder die Veilchen vertragen einfach mehr.) Es geht nach Schmargendorf. Der Platz ist in einem miserablen Zustand: Vor den Toren waren Pfützen und moorartige Stellen. Tennis lässt den Ball rollen. Kaum einmal Ballkontakt für den BSV. Doch der Schmargendorfer Keeper Philipp ist bestens aufgelegt. Nach der Pause drehen die Veilchen noch einmal am Tempo. Ein erstes Tor durch Raue, der den Tormann umkurvt und cool einnetzt. Zwei nach feiner Flanke von Schröder auf Lux. Kopfball — Tor! Drei ein sehenswertes Dribbling von Wiese. Lux steht frei — Tor! Danach der Anschlusstreffer für die Schmargendorfer (trotz nervöser Stürmer). Vier durch Hoffmann, der einen Handelfmeter sauber platziert. Nummer zwei für den BSV.

Unser fünftes Tor war eine feine Leistung von Lux. Philipp war bei der Abwehr zu Fall gekommen und mit ihm auch Lux. Im Liegen erzielt Lux — Philipp den Ball aus der Hand stoßend — ein Tor.

Otto Nerz vermerkt in seinem Spielbericht, dass unsere Spieler sich für das Städtespiel Berlin — Paris geschont hätten, für das der VBB acht Veilchen aufs Feld schickt: Patrzek, Schönherr, Brunke, Eschenlohr, Martwig, Schröder, Lux und Raue. Außerdem Gläser als Ersatz.

Am 14. März die Fahrt nach Paris. Ins Stadion von Colombes. Et l’amour? Konnten die Mademoiselles den Jungs Böses anhaben? Wo denken sie hin! TeBe, äh: Berlin gewann nach hartem Kampf 2:1.

Tanzen, Trinken, Schnackseln? Anzeige in eigener Sache in den Club-Nachrichten vom Berliner Tennis-Club 'Borussia' Nr. 10 / 1925