Ach, wie klein und hässlich sind wir in Berlin!

13. April 1925: TeBe gegen den Corinthian F.C.

So erregt erlebt man den Chefcoach selten. Otto Nerz, sonst kühl und gefasst bis zur Unberührbarkeit, schwärmt vom Gegner, der sich für den Ostermontag 1925 angesagt hat, in den höchsten Tönen. Nur die besten Amateure des ganzen Landes, so beschreibt er den elitären Corinthian FC, beste sowohl im sportlichen wie im gesellschaftlichen Sinne. Die Zahl seiner Mitglieder ist auf 50 begrenzt, und es gibt für den englischen Amateur keine größere Ehre, als von den Corinthians zum Mitglied gewählt zu werden. Doch in England wird Profifußball gespielt, so dass die aktiven Spieler sowohl aus Amateur- oder Professionalkubs einberufen werden, schließlich will man auf der Höhe der Zeit spielen. Alle Aktiven des Corinthian FC eint jedoch, dass nur die allerbesten Leute gewählt werden, wie Nerz nicht müde wird festzuhalten. In den Kader der Corinthians berufen zu werden, ist ein Ehrenamt und darin beinahe mit der Nationalmannschaft vergleichbar.

Der Besuch aus London fällt in eine Zeit, als Fußballdeutschland heftig über Amateurismus und Profifußball streitet. Materialismus, Geschäftemacherei und Ausverkauf, das ist undeutsch, schimpfen die Kritiker des Berufsfußballs. Wir spielen schön und richtig, heißt es, der englische Profifußball hingegen nur mit Rücksicht auf den Sieg. Vom schleichenden Gift des verkappten Berufsspielertums, von dem der Fußballkörper zu befreien sei, hatte der DFB bereits 1918/19 gesprochen. Und so verbietet der Verband Anfang 1925 folgerichtig den Auftritt von Profimannschaften auf deutschem Boden.

Der Auftritt des Amateurvereins Corinthian FC mit seinen professionellen Aktiven ist wohl die einmalige Gelegenheit, sich mit Profifußballern zu vergleichen. Die Presse schwärmt, es ist noch ein Glück in der Welt! Und Nerz: Die Corinthians sind die echtesten Vertreter des englischen Sports! Herzlich willkommen in Berlin.

Die Hauptstadt ist nicht die einzige Station der Londoner, die zuvor ihrem Ruf in Köln – 4:2 – und Hamburg – 4:1 – gerecht werden. Zusammen mit Alfred Lesser und Vereinsarzt Dr. Wisotzki reist Nerz nach Hamburg, nicht nur um die Gäste in Empfang zu nehmen und nach Berlin zu begleiten. Es ist wohl nicht zuviel gesagt, dass unser Besuch in Hamburg ganz wesentlich zum Erfolg … beigetragen hat. Nach der Niederlage prophezeiten die H.S.V.er eine saftige Niederlage. Haushoch zu Null! Ach, wie klein und hässlich sind wir in Berlin.

Vor allem überzeugt sich Nerz in Hamburg vom robusten Spiel des Gegners. Auch das Rempeln muss gelernt sein. Es ist kein blödes Ueber-den-Haufen-Rennen des Gegners, sondern eine Kunst.

Bei ihnen gibt es kaum einen Angriff ohne gleichzeitiges kräftiges Rempeln. Dabei bleiben die Ellbogen weg und auch die Beine wirken in keiner Weise mit, den Gegner zu Fall zu bringen. Nur die Schulter stemmt sich dem Gegner auf die Brust oder in die Seite.

Anders als das Berliner Publikum hat der Amsterdamer Schiedsrichter, Prof. Snapper, ein scharfes Auge für diese Dinge, während uns der Blick dafür fehlt. Die Folge waren ernste Meinungsverschiedenheiten zwischen Publikum und Schiedsrichter! (Assistiert wurde dem Unparteiischen übrigens vom Manager der Corinthians, Boas, und vom späteren DFB-Präsidenten Peco Bauwens).

Nerz instruiert seine Underdogs. Mit Erfolg. Schröder rast los, umgeht die ganze Verteidigung und schießt, auch für den internationalen Hüter unhaltbar, ins Tor! Wenig später gelingt Hartley der Ausgleich mit einer Bombe, die Patrzek aus den Angeln hebt. 1:1, Unentschieden! Damit hatte niemand gerechnet.

Das Publikum ist begeistert.

Im Hebrst 1924 hatte die Sportillustrierte Fußball noch geschimpft, die Herren von TeBe könnten das Deutschtum und die deutsche Art nicht würdig vertreten. Ein halbes Jahr später jubelt nun das Blatt:

Die Corinthians trafen in Berlin nach zwei schweren Spielen nicht ganz vorbereitet auf einen hart trainierten, wohlgerüsteten Gegner, der sich an diesem Tage selbst übertraf. Tennis-Borussia hat mit ihrem Elan, scharfen Schlag und Spurt diesmal das beste Spiel ihres Lebens gespielt und hätte jede andere Elf im Tempo einfach erdrosselt.

Abbildung: Fußball Nr. 15, April 1925