Müdigkeit allenthalben

Der Winter 1927/28 ist einer von diesen feuchten Wintern, die nicht wissen, was sie wollen, und allenthalben macht sich eine gewisse Ermattung breit. Das trifft auch die Erste Herren, die gerade dabei ist, sich einen deutschen Rekord zu erspielen. Am 29. Januar 1928 scheint überm Poststadion die Sonne, bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt. Die Veilchen bitten Union Oberschöneweide zum Stelldichein. Unsere Mannschaft spielte in der Aufstellung der letzten Wochen, im Tor Konny Patrzek, in der Verteidigung Emmerich und Brunke, als Läufer Schumann, Lux und Martwig, im Sturm Schröder, Hoffmann, Handschuhmacher, Herberger und Raue. Nach zwei Minuten steht es 1:0 (durch Raue). Danach: 70 Minuten Fehlanzeige.

Gegen seinen alten Verein kommt Handschuhmacher anscheinend nie in Schwung, so dass vorn der Zusammenhang fehlt. Erst 20 Minuten vor dem Abpfiff kann Herberger eine sehr schöne Flanke Schröders ins gegnerische Netz schicken, und in der letzten Viertelstunde bringen Raue und Hoffmann den endgültigen Stand von 4:0 heraus.

Die Berliner sind not amused, es hagelt trotz des klaren Ergebnisses harsche Kritik an den Veilchen, und der Berichterstatter der Borussen verweist wortkarg auf den schlechten Zustand des Spielfeldes. Indigniert notiert er, dass der Boden recht glatt war und unsere schwere Mannschaft gegenüber der leichteren Unionelf im Nachteil war.

Das Wetter hängt sich auch den älteren Semestern wie Blei an die Töppen:

Bei den Alten will es zurzeit nicht recht klappen. Es sind in jedem Jahr dieselben Sorgen, mit denen man zu kämpfen hat. Immer, wenn die Sonne nicht so freundlich lacht und Regen- und Schneestürme über die Spielfelder fegen, tritt eine gewisse Unbeständigkeit in der Mannschaft ein. Die Herren, die es nicht einmal für erforderlich halten, wenigstens vor dem Spiel im Poststadion telephonisch anzurufen, werden es dann nicht weiter übelnehmen, wenn ihre Berücksichtigung für die nächsten Spiele auch nicht erfolgt.

Eine Woche nach dem Spiel der Ersten gegen die Südostberliner treffen die Alten Herren auf Brandenburg, wir natürlich nur mit 10 Mann, da Kräußlich uns glatt versetzte. Die Höchsttemperaturen liegen bei 3,8° Celsius, die Wolken hängen tief, ein schnöder, scharfer Winterwind peitscht Regen übers Spielfeld. Trotzdem waren unsere Stürmer gut aufgelegt. Max Berglas, in dessen Bankhaus Seppl Herberger in Lohn und Brot steht, zieht unbeirrt seine Bahnen. Diesmal möchte er seinem Angestellten zeigen, bei welchem Wetter Veilchen wachsen, und anders als Herberger in der Vorwoche netzt er dem Gegner dreimal ein, am Ende gehen die Brandenburger trotz Überzahl  7:4 mit hängenden Köpfen vom Feld. Am 12.2. zu Rapide nach Niederschönhausen. Ausnahmsweise vollzählig, groß ist unsere Freude, als der Platz ganz trocken war. Gegen die Ordnungsleute vom Polizeisportverein hingegen mögen anfänglich gar nur neun Alte Herren antreten (am 19.2.), später findet sich noch Sim! Sim! Simsalabim! Leiserowitsch ein, der Fußballmagier aus vergangenen Tagen, und schon wendet sich das Spielgeschick – nur leider bleibt das Glück bei Höchsttemperaturen um 6° und Regen dann doch lieber Zuhaus:

Sim Leiser warf immer wieder „feine Leute“ nach vorne, doch gingen sämtliche Schüsse gegen die Latte oder daneben.

Die Grünen nehmen nach einem spannenden Match die Alten Herren knapp 3:2 in Gewahrsam. Es spielten die beiden Vereinsärzte Wisotzki und Karp in der Defensive, als Läufer Raschke und Robert Neppach, der beliebte Filmproduzent, Leiserowitsch und Paulick sowie im Sturm Sauer, Gumpel, Siebers und Berichterstatter Paulchen Görsch.

Dass in diesem seltsam nass-kalten Winter ermattet, wer bei Wind und Regen die Knochen hinhält, mag man noch verstehen. Dass hingegen Vorstand und Funktionsträger des Clubs eine Lustlosigkeit bis zur Pflichtvergessenheit befällt, trifft nicht überall auf Gegenliebe. Auf dem Programm steht ein Kaschemmen-Ball. Mit beschämendem Ergebnis:

Dieses insofern, als gerade die älteren Mitglieder und auch ein großer Teil des Vorstandes, also diejenigen, von denen man glauben sollte, auf ihnen baue sich der Verein auf, die Veranstaltung fast geschlossen boykottierten. Nicht allein das pekuniäre Defizit, für den Arrangeur immer eine unangenehme Sache, ist das Ausschlaggebende hierbei, sondern das Empfinden, auf welch schwachen Füßen der innere Konnex des Klubs steht.

Allein die Jugend ein Sonnenschein. Sie weiß ein Fest zu feiern, wie es fällt, ausgestattet mit dem richtigen Sinn dafür, was wirklich Geselligkeit ist, und die gerne jede Gelegenheit wahrnimmt, um nette Stunden im Kreise ihrer Klubkameraden zu verleben.