Schweren Herzens

Am 11. April 2013 jährt sich der „Austritt“ der jüdischen Mitglieder zum 80ten Mal. Tennis Borussia nimmt dies zum Anlass, allen zu gedenken, die von den Nazis verfolgt, terrorisiert und ermordet wurden.

26. Dezember . An Tennisclub Borussia. Lietzenburgerstr. 36. Sehr geehrter Herr Präsident, beginnt Arnold Schönberg einen Brief, der ihm außerordentlich schwer fällt. Wie kaum ein anderer verkörpert der Zwölftonkomponist den intellektuellen und künstlerischen Aufbruch während der  ersten 30 Jahre des 20. Jahrhunderts. Und er zeigt sich hellsichtiger als viele seiner Zeitgenossen. Am Zweiten Weihnachtsfeiertag jedenfalls bereitet der tennisbegeisterte Musiker seine vor – rund einen Monat bevor Reichspräsident von Hindenburg Adolf  Hitler zum Reichskanzler ernennt. Weil ich aber leider nicht weiss, ob wir in Berlin sein werden, bittet Schönenberg den 1. Vorsitzenden der Veilchen, Dr. Otto Kuttner, schweren Herzens darum, meinen Austritt zur Kenntnis zu nehmen.

Ich möchte Ihnen aber versichern, dass ich mich sofort melden werde, wenn meine Befürchtungen, hoffentlich!!!, nicht eintreten.

Derweil Schönberg am Schreibtisch seinen traurigen Pflichten nachgeht, feiert der Lawn-Tennis Turnier-Club „Rot-Weiß“ eine rauschende Weihnachtsgala. Star des Abends ist ein ehemaliger Tennis Borusse. Auf dem Tanzparkett schwoft die ausgelassene Festgesellschaft derart Hin und Her, dass die Wogen den für wenige Sekunden ganz nahen Tennismeister Prenn und seine blonde hübsche Frau in weite Ferne trugen, bevor man ihnen noch einen Glückwunsch zum einjährigen Ehe-Jubiläum zurufen konnte, notiert die BZ am Mittag. Daniel Prenn war 1920 als 16jähriger vor den blutigen Pogromen in seiner Heimatstadt St. Petersburg nach Berlin geflohen, er hatte an der Technischen Hochschule Charlottenburg studiert und in einem Sportartikelgeschäft gejobbt, um seine Sportbegeisterung finanzieren zu können. Danny, wie er nur genannt wird, ist begeisterter Boxer, er spielt – und vor allem Tennis. Zusammen mit der Deutschen Meisterin im Damen-Einzel von 1925, Nelly Neppach, nimmt er für die Tennis Borussia den Schläger in die Hand, bevor er zu Rot-Weiß wechselt, wo ihm sportlich weitaus bessere Perspektiven geboten werden.

Daniel Prenn "schmettert" beim Wimbledon-Turnier. Bild: Handbuch des Sports, Astra Margarine; Sammlung Buschbom.

Daniel Prenn „schmettert“ beim Wimbledon-Turnier. Bild: Handbuch des Sports, Astra Margarine; Sammlung Buschbom.

In einem begeisternden Aufholkampf, der für alle Zeiten in goldenen Lettern verzeichnet bleiben wird, wie es die BZ formulierte, hatte Danny im Sommer 1932 ein bereits verloren geglaubtes Davis-Cup- gedreht und gegen den Briten Fred Perry 6-2 6-4 3-6 0-6 7-5 gewonnen. Ganz Deutschland verfällt darauf in einen Tennis-Taumel, und auch im Ausland schwärmt man von dem sympathischen Weltranglisten Achten (in der Zählung von Big Bill Tilden).

Doch nach dem Weihnachtsrausch kommt im neuen Jahr die Ernüchterung: Schönbergs schlimmste Befürchtungen bewahrheiten sich, als am Abend des 31. Januar die Stiefelabsätze der Braunhemden auf den Asphalt unterm Brandenburger Tor knallen. Die Nazis zelebrieren, was sie Tag der Machtübernahme nennen, und die Deutschen folgen ihnen willig. Es sind jüdische Sportler, die es zuerst zu spüren bekommen. In vorauseilendem Gehorsam erklärt der Verein deutscher Faustkämpfer am 3. April den Rauswurf seiner jüdischen Mitgliedschaft. Ebenfalls Anfang April folgt der Deutsche Tennis Bund; doch die Tennis-Offiziellen begnügen sich nicht damit, ihren Sport für judenfrei zu erklären, sie schließen vielmehr auch den eben noch gefeierten Daniel Prenn namentlich aus:

Der Spieler Dr. Prenn (ein Jude) wird 1933 nicht für die Davispokal-Mannschaft aufgestellt.

Ende 1933 zieht Danny die Konsequenz und flieht zum zweiten Mal in seinem Leben vor dem Hass, der ihm entgegen schlägt. Zusammen mit seiner Frau Charlotte setzt er nach Großbritannien über. Solidarität? Fred Perry und Henry Wilfred Austin, den sie Bunny nennen, melden sich am 13 April in einem offenen Brief an die Londoner Times zu Wort: Mit großer Bestürzung lesen wir die offizielle Stellungnahme …, dass Dr. D. D. Prenn Deutschland im Davis Cup nicht repräsentieren wird, aus dem einzigen Grund, dass er jüdischer Herkunft ist.

Am 11. April lässt der Boxverband verlautbaren, dass er dem Tennis Borussen Erich Seelig seine beiden Titel im Mittelgewicht und Halbschwergewicht aberkennt. Noch am gleichen Abend erklärt in einer eilig einberufenen Mitgliederversammlung ein Großteil der jüdischen Mitgliedschaft ihren Vereinsaustritt. Etwa zehn Prozent der Veilchen sind nach dem Verständnis der Nazis jüdisch; demnach verlassen rund 40 Personen den Verein, darunter Vereinsgründer Alfred Lesser, die beiden Vereinsärzte Dr. Jack Karp – ein amtierender Vorstand! – und Dr. Adolf Wisotzki, die wohl zu den ersten Sportärzten im deutschsprachigen Fußball zählen, Georg Michaelis und Max Berglas, bei denen Sepp Herberger eine Anstellung gefunden hatte, die Brüder Leiserowitsch, die Brüder Seelig, und viele andere, die leider namenlos bleiben.

Vollständig vom sportlichen Alltag isoliert, geht Nelly Neppach in der Nacht vom 7. auf den 8. Mai in den Freitod. Das Vordringen der Naziideologie, sei der Grund für ihren Selbstmord gewesen, sagen Freunde von ihr. Insbesondere der Entschluss des Deutschen Tennis Bund, die jüdische Mitgliedschaft auszusperren, wird für ihren depressiven Schub verantwortlich gemacht. Nellys Mann Robert (ein bekannter Architekt, Filmausstatter und Produzent) gehört bei den Veilchen zur Stammbelegschaft der Alten Herren. Der immer hemmungsloser ausgelebte Antisemitismus in Nazi-Deutschland zwingt ihn in den folgenden Jahren zu langen Trennungen von seiner zweiten Frau Grete Walter, der jüngsten Tochter des bekannten Dirigenten Bruno Walter. Die Eheleute entfremden sich, Grete will die Scheidung. Am 18. August 1939 betritt Robert ein Appartement in Zürich, wohin sich Bruno und Grete Walter vor den Nazis geflüchtet haben. Neppach erschießt zunächst seine Frau und richtet dann sich selbst.

Zuhause in Berlin wird Ete Seelig von den Nazis bedroht, sollte er die Titelverteidigung im Halbschwergewicht antreten. Erich flieht zusammen mit seinem Bruder Heinz im Mai 1933 zunächst nach Paris, und später über Kuba in die USA, wo er mit einem furiosen Kampf gegen die Box-Legende Mickey Walker seine Karriere fortsetzt. Am Tag nach dem Walker Kampf steigt Erich gegen die Nazis in den Ring, und setzt sich auf das Podium einer von der amerikanischen Anti-Nazi-Bewegung durchgeführten Veranstaltung.

Alfred Lesser gründet zusammen mit Schwager Adolf Wisotzki, , Georg Michaelis und anderen die Sportgemeinschaft 33. Andere Tennis Borussen organisieren sich im Verein Kaffee König, benannt nach einem Café auf dem Boulevard Unter den Linden. 1934 dürfen Juden auch offiziell nicht mehr mit Ariern Sport treiben, und so blüht der jüdische Sportbetrieb eine traurige Scheinblüte. Lesser stirbt im us-amerikanischen . Seine Witwe Tutti schreibt 1952 aus New York an seine Veilchen, sie lege ihrem Alfred stets lila-weiße Blumen aufs Grab, Tennis Borussia gehörte doch so sehr zu seinem Leben!

Viele andere wenden sich wie nach dem Krieg erneut an ihre Veilchen: Konrad Friedländer gehört nach seiner Befreiung aus dem KZ zu jenen, die 1945 den verwaisten Verein wiederbeleben. Leopold Leiserowitsch, dessen Bruder Fritz von den Nazis ermordet wurde, tritt wie Georg Michaelis ebenfalls erneut in den Verein ein. Briefe treffen aus allen Winkeln der Welt ein, etwa von Jack Karp, Walter Gore, und vielen anderen. Und als die Veilchen ihr 50jähriges Jubiläum feiern, setzt eine rege Reisetätigkeit nach Berlin ein. Max Berglas macht dem Verein eine großzügige Stiftung.

Mit seinem „Überlebenden aus Warschau“ ist Arnold Schönberg eine der bewegendsten musikalischen Bearbeitungen des gelungen. Darin lässt ein -Mann jene durchzählen, die er ins Gas schickt:

Und nochmals begannen sie, erst langsam: eins, zwei, drei, vier, nun ging es immer schneller, so schnell, dass es schließlich wie das Stampfen wilder Rosse klang, und dann auf einmal – ganz plötzlich mittendrin – fingen sie an das Schma Jisrael  zu singen.

Höre Jisrael! Adonai (ist) unser Gott; Adonai (ist) Eins.