R.I.P. Walter Frankenstein (30. Juni 1924 - 21. April 2025)

Vor zwei Wochen hat er via Anzeigetafel noch zu uns gesprochen, in den gestrigen Abendstunden ist er im Alter von 100 Jahren leider von uns gegangen: Walter Frankenstein, enger Jugendfreund des späteren TeBe-Präsidenten Hans Rosenthal. Die beiden hatten sich im Auerbach‘schen Waisenhaus in der Schönhauser Allee kennengelernt, entkamen 1943 beide knapp den Deportationen und überlebten die Shoa versteckt im Untergrund.

Walter und seine Frau Leonie gehörten dabei zu den ganz wenigen, denen das sogar mit zwei kleinen Kindern gelang, versteckt an getrennten Orten. Ebenso wie Hans Rosenthal verdankte auch Walter sein Überleben neben sehr viel Mut und Cleverness vor allem der Unterstützung durch couragierte Menschen sowie zahlreichen glücklichen Fügungen.

Im Gegensatz zu Hans Rosenthal verließ Walter gemeinsam mit seiner Familie 1945 das Land der Täter Richtung Palästina, wo er 1948 im Israelischen Unabhängkeitskrieg kämpfte. Die Frankensteins bauten sich in Tel Aviv eine Existenz auf, 1956 siedelten sie nach Stockholm um. Dort begann Walter, dem während der NS-Zeit eine akademische Ausbildung verwehrt geblieben war, mit über 40 ein Studium, um anschließend als Ingenieur tätig zu sein. Die Freundschaft zu Hans Rosenthal hielt bis zu dessen Tod anno 1987.

Nach Berlin kam Walter auch danach immer wieder – auch um über seine Erlebnisse während des Nationalsozialismus zu sprechen, vor allem an Schulen. Bis zu deren Tod 2009 gemeinsam mit Leonie, der starken Frau an seiner Seite, die zeitlebens seine große Liebe geblieben war und von der er bis zuletzt so begeistert erzählte. Walter verstand es, junge Menschen in seinen Bann zu ziehen, und der Austausch mit ihnen bedeutete ihm viel.

Mit der Pandemie wurden solche Begegnungen dann leider selten. Beim internationalen großen Walther-Bensemann-Gedächtnisturnier in Nürnberg 2022 beispielsweise ließ er sich daher per Video zuschalten und berichtete dem beeindruckten Fußballnachwuchs von seinem Leben. Er sprach über die Bedrohlichkeit der gesellschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahre. Zur Europawahl 2024, wenige Tage vor seinem 100. Geburtstag, unterzeichnete er gemeinsam mit sieben weiteren Zeitzeug:innen einen Offenen Brief und äußerte:

„Ich weiß, dass es damals eine ähnliche Entwicklung gab wie heute: eine schwache demokratische Regierung und eine Partei, die die Leute sammelte, die unzufrieden waren. Deshalb dürfen heute junge Leute nicht sagen ‚Ja, ich weiß nicht, wen ich wählen soll, also gehe ich lieber gar nicht‘. Das ist das Schlimmste, was man machen kann. Unsere Demokratie muss immer wieder neu verteidigt werden.“

Bis zuletzt hatte er ein messerscharfes Gedächtnis, erinnerte sich erinnerte sich aus dem Stegreif auch an allerkleinste Details, Namen, Orte und Daten. Er konnte immer noch problemlos komplette Texte diverser Hits aus den späten 20ern rezitieren. Aber er hatte auch ein Faible für zeitgenössische Popmusik, durfte später sogar die aus seiner Wahlheimat stammenden ABBA persönlich kennenlernen.

Anlässlich des rund um die Begegnung zwischen TeBe und dem TuS Makkabi zelebrierten 100. Geburtstags von Hans Rosenthal am 2. April berichtete Walter den Besucher:innen des Mommse nochmal über die Freundschaft der beiden. Und darüber, dass diese einmal pro Woche für 90 Minuten pausierte – nämlich immer dann, wenn im Radio die Fußballübertragungen stattfanden und Walters Hertha und Hänschens Borussia um die Vorherrschaft in der Stadt rangen.

Sein enger Freund Risto Hurskainen, der Walter so vieles ermöglicht und ihn auf allen Reisen begleitet und unterstützt hat, war zu diesem Anlass aus Stockholm ins Mommse gekommen und konnte Walter anschließend von der Geburtstagssause berichten. Nur zwei Wochen zuvor hatte Walter bereits lila-weißen Besuch durch Juli Röleke in Stockholm empfangen. Juli hatte Walter im Rahmen ihrer Arbeit als Historikerin kennengelernt, woraus eine enge Freundschaft erwuchs. Auch aufgrund dieser Kontakte verfolgte er das Schicksal der Veilchen mit Sympathie und Daumendrücken.

Walter war eine in jeder Hinsicht faszinierende und einzigartige Persönlichkeit. Bis zuletzt sprühte er vor Herzenswärme, geistreichem Witz und schelmischer Frechheit, schaffte es immer wieder, sein Gegenüber herzhaft zum Lachen zu bringen.

Sein Anliegen, die Erinnerung an die NS-Barbarei wachzuhalten und den Slogan „Nie wieder“ nicht zu einer leeren Phrase verkommen zu lassen, war ihm zugleich sehr ernst. Er mahnte immer wieder an, wie wichtig es sei, zu Antisemitismus und Rassismus nicht zu schweigen. Bereits während ihrer Zeit im Versteck hatten er und Leonie sich geschworen, niemals Angst zu haben. Dieser auch in Klaus Hillenbrands Biografie der Familie Frankenstein immer wieder erwähnten Devise der beiden ist Walter bis zuletzt treu geblieben. Nun ist es der Auftrag all jener, denen er von seinem Leben berichtete, sein couragiertes Engagement fortzuführen, damit sich etwas Vergleichbares nie wiederholt.

Unsere Gedanken sind bei Walters Familie und allen, die ihm nahestanden. Wir danken dir für deine Freundschaft und sagen: Mach’s gut, lieber Walter. Wir werden dich sehr, sehr vermissen!

Bilder: Jüdisches Museum Berlin (Schenkung der Familie Frankenstein) sowie Tennis Borussia.

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