„Oh Hans!“

Wenn hart und ritterlich der Hanne gegen Hanne ringt
Und wenn das Vierzigtausend in Extase bringt,
Was heißt da Sieg, was Niederlage –
Das sind des Fußballs Feiertage.

Hanne gegen Hanne. Verteidigung gegen Sturm. Brunke gegen Sobek. gegen Hertha. Kein anderer personifiziert in den Goldenen Zwanzigern die Veilchen wie Hans Brunke. Kein anderer die Hertha wie Hans Sobek. Hanne und Hanne, der Verteidiger und der Stürmer, das sind die Namen, die ganz Berlin polarisieren. Hier der moderne Abwehrfußball, den Trainer Nerz spielen lässt, pragmatisch, effizient, kampfbetont. Dort der Angriffsfußball auf der Höhe seiner Zeit. Hier die feinen Pinkel, dort die Arbeiter aus dem Wedding. Brunke gegen Sobek, das ist eine Begegnung auch ganz nach dem Geschmack des Reichtrainers Otto Nerz:

Wie sich die Muskeln straffen! Hier ist Fußball ganz zum Kampf geworden. Die beiden Berliner Internationalen Sobek und Brunke im harten Ringen um den Ball. Meisterhaft die Fußtechnik der beiden!

Hanne Brunke und Hanne Sobek finden sich auch im Dreamteam, das der Trainer der zusammen mit dem ehemaligen TeBe-Geschäftsführer in dem damals sehr populären Buch „Der Kampf um den Ball“ 1932 zusammengestellt hatte. Darunter so illustre Namen wie Stuhlfauth, , Kuzorra und (Bolton Wanderers).

Sein erstes Spiel in der Ersten Herren der Tennis Borussia absolvierte Brunke nicht einmal 20jährig im Winter /1924 gegen den Berliner Ballspiel-Club 1903 (einem Vorgängerverein des , der 1914 in der Endrunde um die Deutsche Meisterschaft gekickt hatte und 1922 zum BBC-Brandenburg 92 fusioniert war). Sportlich hatten die Veilchen gerade eine tiefe Krise überwunden. 1922 war die Erste Herrenmannschaft erstmals seit 1914 aus der höchsten Berliner Spielklasse abgestiegen. Schon ein Jahr später gelang allerdings der Wiederaufstieg in die . Neben gestandenen Fußballern wie Herrmann Lux, der Anfang 1922 von Holstein Kiel und Union Oberschöneweide zu TeBe gekommen war, verpassten die Verantwortlichen der ersten Herren eine Frischzellenkur. Brunke, Schröder und Groß waren von Kindesbeinen an Eigengewächse der Veilchen.

Der 45jährige Brunke erinnert sich an den achtjährigen Hanne, sehnsuchtsvoll auf die Sportplätze Niederschönhausen kiebitzend. Die Bilder, die er Revue passieren lässt, sind stark, und sie geben einen Einblick in den Alltag des Jugendbetriebes um 1910:

Ich sitze auf einer weit ausladenden Eiche – wer erinnert sich noch an diesen Baum vor dem Eingang – und sehe über einen großen Holzzaun hinweg zum ersten Mal die beiden Fußballplätze Tennis-Borussias; und ein Spiel dazu. Es könnte etwa so um 1911/12 gewesen sein. Ich sehe einen eleganten Zweispänner vorfahren; viele Jahre später erst erfahre ich, dass Alfred Lesser hierin zum Fußball zu fahren pflegte. Ich sehe mich beim Schulspiel in der Mannschaft des Realgymnasiums Niederschönhausen gegen die Oberrealschule Pankow mitwirken; gefördert durch die Lehrer Vater und Sohn Petri und durch Kurt Wolter, betätige ich mich viele Jahre hindurch in den Schüler- und Jugendmannschaften meines Vereins, die ausnahmslos in Niederschönhausen spielten.

Ich fühle noch die Ohrfeige, die mir jener Gärtner gab, als der Ball wieder einmal statt ins Tor in die Scheiben der Frühbeete gefallen war. Wer kannte ihn nicht, den Armen, dessen Gärtnerei gleich hinter dem rechten Tor lag? Ich sehe in den Kriegsjahren die beiden Ziegen unseres Gastwirts Schlegel auf den Plätzen weiden, Ulrich Rüdiger (selbst noch in Uniform) und Kurt Wolter während ihres Urlaubs den hinteren, neu angesäten Sportplatz sprengen. […]

Ich schmecke noch nach heißen Jugendspielen die ‚Weiße mit Himbeer‘, serviert von dem rothaarigen Fräulein Schlegel …

Hänschen wuchs zu Hanne heran, und blieb doch von zarter Statur, zumindest gemessen an seinen Verteidigerkollegen und Lux, Hünen, deren bloße Körperlichkeit den Gegner einzuschüchtern wusste. Diesen Makel machte Brunke durch Athletik und Rabianz wett, Man muss sich vor den Stürmern Respekt verschaffen! – diesen Ausspruch von dir, lieber Aute [Weber], habe ich während meiner eigenen Verteidigerlaufbahn ständig zu beherzigen versucht.

Als Ende Mai 1927 mit dem Burnley FC erstmals seit Jahren eine ausländische Profimannschaft in Deutschland gastiert, attestiert der scheidende Trainer der Veilchen, Otto Nerz, der gesamten Verteidigung, teilweise Hervorragendes geleistet zu haben. Bestehen könne nur eine Mannschaft deren Spieler ihren Körper bis in die Zehenspitzen durchgebildet haben, deren Spieler im Kurzstreckenlaufen sämtlich die B[erlin]B[randenburgische]B[allspiel]-Meisterschaft gewinnen könnten und einen schnellen und plötzlichen Antritt haben; abgesehen von dem Ballgefühl, das jedem zu eigen sein muss.

Der Spielbericht des frisch gekürten Reichstrainers Nerz vom Match gegen die Profis von der Insel erbringt den Nachweis, dass Nerz bei den Berliner Veilchen mit dem englischen WM-System experimentierte, lange bevor er es offiziell bei der Reichsauswahl einführte.

Die auch bei uns theoretisch festgelegte Stellung des Sturmes in Form eines lateinischen W war bei ihnen deutlich ausgeprägt, nur dass die innere Spitze, also der Mittelstürmer, weit vorgetrieben war. Er stand stets vorn zwischen den Verteidigern, hart an der Abseitsgrenze, ohne jedoch ein einziges Mal in Abseitsstellung zu geraten. Die Außenstürmer standen etwas weiter zurück, dicht an der Außenlinie. Die Halbstürmer standen noch weiter zurück, fast in der Läuferreihe. Dadurch ist stets ein Keil in die gegnerische Verteidigung hineingetrieben, der bei langen Passbällen sofort aufs Tor vorstoßen kann.

WM, das war der Abschied vom , das damals alle erfolgreichen Mannschaften spielten, ein Kurzpasssystem, das von zwei Außen- und drei Innenstürmern gespielt wurde. Standfußball, der mit der individuellen Klasse seiner Akteure steht und fällt. Impotente Spielerei, schimpfte Nerz über diese Spielweise. Stattdessen also ließ Nerz über die Außenflügel spielen, wie er es bei den englischen Vereinen gelernt hatte. Statt passgenauem Zuspiel der tödliche Pass in den freien Raum, statt Kabinettstückchen am Ball das Laufen ohne Ball. Auch Manndeckung war ein unbekanntes Wort in der Weimarer Republik, bis Nerz sie bei Tennis Borussia einführte. Kalter Erfolgsfußball, zeterten die Kritiker, und die Zuschauer, die es gewöhnt waren, dass in einem Spiel so manches Mal zehn und mehr Tore fielen, schimpften. WM-System – das war die Geburtsstunde des modernen Plastikfußballs, dem damals wie heute Seelenlosigkeit bescheinigt wurde. Undeutsch eben. Darauf ausgerichtet, das gegnerische Spiel zu zerstören und hinten den Sack zu zu machen. Seine Wiege lag bei der Tennis Borussia, und Hanne Brunke war eine ihrer wichtigsten Stützen.

Hans liebte und lebte die Rolle, die er als eine der tragenden Säulen des neuen Systems bei Tennis Borussia hatte. Ganz schnöselig suchte er den Ausgleich nicht bei proletarischen Vergnügungen, sondern im „weißen Sport“ des Jet Sets. Schnelligkeit und Reaktionsvermögen trainierte er in der Tennisabteilung. Recht erfolgreich übrigens. Böse Zungen tuschelten hingegen, Hanne mit dem Knabengesicht habe sich für das Tennis als Freizeitbeschäftigung nur entschieden, weil es ihm erlaube, gemeinsam mit eleganten, jungen Damen den Court zu entern.

Denn Hans hatte Schlag beim schönen Geschlecht:

Herzdame an Pikbuben
In deiner Beine Stärke liegt mein ganzes Hoffen – –
Und meine kussbereiten Lippen stehen offen
Bei deiner Fußballstöße Eleganz,

Nach dir – – – o – Hans!

Hast du dem Gegner meuchlings hintennach gehäkelt,
Sodass er sich auf grünem Rasen kugelt, räkelt,
Lacht selig meiner Augen Glanz.

So wild – – du – – Hans!

Und wenn du dich einmal hast durchgedribbelt,
Dann glaube, o, wie da mein Herzchen bibbelt,
Wenn du ein Tor dann schießt mit Eeleganz –

So schön – o – Hans!

Dein Ruhm ist groß, wie der von Jackie Coogan,
Dein Bild das brauche ich nicht lang zu suchen,
Ein jedes Sportblatt bringt's – vergeistert ganz –

So süß – ooo – Hans!

Mit deinem allerersten Tor, das du geschossen,
Ist mir die Liebe jählings in das Herz geschossen
Voll wilder Süße und Rasanz – –

Nicht doch – – – ooo – Hans!

Und seh ich deine schnellen, gutplazierten Stöße –
Fühl ich – des Genius erhabne Größe – –
Mein Lohengrin! Mein Gurnemanz!

Ooo Hans – ooo Hanne komm zu mir – – mein Hans!

Foto: Hanne gegen Hanne. Brunke gegen Sobek. Illustration aus: Otto Nerz, Carl Koppehel: Der Kampf um den Ball. Berlin(4) 1933. Tafel 3 der Bildtafeln zwischen S. 8 und S. 9.