Drei Generationen

© Leiseroff privat

Tennis Borussia Berlin ist sehr erfreut über die Kontakte zu ehemaligen Spielern und Funktionären sowie deren Angehörigen. Alfred Lesser, Simon, Fritz und Leopold Leiserowitsch sowie Horst Schmutzler – das sind Namen, die wie wenige andere aus den ersten 50 Jahren der Vereinsgeschichte hervorstechen. Unabhängig voneinander kontaktierten ihre Angehörigen die Berliner Veilchen.

Horst Schmutzler besiegt Dr. Wittke (Union Oberschöneweide 06); Foto: unbekannt, Sammlung Mannewitz. Irmgard Schmutzler und ihr Neffe Tobias Hecht sind seit einiger Zeit regelmäßig im Stadion anzutreffen. „Dieser Michael Fuß, wie der Tore schießt, toll!“, freut sich Frau Schmutzler nach der Begegnung gegen den SV Tasmania am 3. Mai über einen würdigen Nachfolger für ihren verstorbenen Mann, „allerdings wird heute ja ganz anders Fußball gespielt. Der Horst musste sich einfach vorne reinstellen, und das Team hat ihn dann bedient. Es wusste ja jeder, dass mein Mann die Tore macht, sobald er den Ball an den Füßen hat.“ Das ist nicht übertrieben: Zusammen mit Fritz Wilde war der Schwatte eine kaum zu bremsende Tormaschine. In 96 Oberliga-Begegnungen, die Horst Schmutzler im lila-weißen Trikot absolvierte (1949 – 52 und 1956 – 59), netzte er 81mal ein, und in 15 Spielen in der Deutschen Meisterschaft traf Horst neunmal. Noch heute geht ein Raunen durchs Casino im Mommsenstadion, wenn man die älteren Fans und Mitglieder nach dem Publikumsliebling fragt. Dabei polarisierte Horst Schmutzler die Berliner Fans wie kaum ein anderer. „Der Horst hatte schon seinen eigenen Kopf“, sagt Frau Schmutzler über ihren verstorbenen Mann. Die einen freuten sich über einen Filigranfußballer von Weltformat, die anderen schimpften über seine berüchtigten Eskapaden und Eigenwilligkeiten. Am Vorabend der Weltmeisterschaft 1954 düpierte er den Nationaltrainer Herberger, erzählt Irmgard Schmutzler. „Horst hatte drei Tore geschossen und nach dem Spiel kam der Sepp in die Umkleide, um ihm zu gratulieren. Mein Mann hat ihm ins Gesicht gesagt, ‚Sieh an, der Herr Herberger, mal nicht in Kaiserslautern?‘ Dann hat er sich umgedreht und ist gegangen.“ Frau Schmutzler lacht, „das wars mit seiner Karriere in der Nationalmannschaft!“

Mit großer Dankbarkeit nimmt Tennis Borussia Frau Schmutzlers Mitgliedsantrag entgegen, „das muss aber schnell gehen“, sagt sie, „ich bin ja keine 50 mehr.“ Wir versprechen es, liebe Frau Schmutzler!

Irmgard Schmutzler und ihr Neffe Tobias Hecht © Buschbom

Bereits im Herbst des letzten Jahres besuchten Naomi Leiseroff und ihr Mann Van Wallach die Berliner Tennis Borussia auf den Spuren von Großvater Simon Leiserowitsch und seiner Brüder Leopold und Fritz (TeBe.de berichtete: Feine Leute). Aus dem Besuch hat sich ein lebhafter Emailkontakt ergeben, auch zu „SimSimSalabim“ Leiserowitschs Sohn Eric Leiseroff. Als kleine Geste der Verbundenheit hatte der Verein vor einiger Zeit ein kleines Paket mit Club-Paraphernalien in die USA gesandt. Eric Leiseroff war tief gerührt. „Ich bin von jedem einzelnen TeBe-Stück begeistert, das Ihr mir geschickt habt. Der Name, die Nummer 9, das Vereinswappen auf dem Shirt – am liebsten will ich gleich zum Yankee Baseball Stadion hinuntergehen und einige Runden drehen! Sobald es wärmer wird, werde ich mir meine Fußball-Uniform überstreifen! Als Naomi und Van aus Deutschland wiederkamen und davon erzählten, wie gut sie empfangen wurden, habe ich mir schon Gedanken darüber gemacht, was alles hätte sein können, wenn…“, erzählt der 89jährige, der als 15jähriger aus Nazideutschland fliehen musste. Tennis Borussia möchte der Familie Leiseroff auch auf diesem Weg noch einmal herzlichen Dank sagen, dass sie den Kontakt zum Verein aufgenommen hat! „Wir wollen Euch und die ganze Familie wissen lassen, dass Ihr bei Tennis Borussia immer herzlich Willkommen seid!“, sagt Vorstandsvorsitzender Andreas Voigt.

Alfred Lesser (ganz links), Simon Leiserowitsch (7ter von links) und Richard Girulatis (rechts); ca. 1913. Foto: unbekannt; Leiseroff privat.

Simon Leiserowitsch war 1913 wesentlich auf Betreiben von Alfred Lesser vom Stadtrivalen Hertha BSC zu den lila-weißen Veilchen gelotst worden. Der Vereinsgründer Lesser gehört zu den wichtigsten Unbekannten im deutschsprachigen Fußball; denn nicht nur gehen einige für den Verein richtungsweisende Entscheidungen auf sein Konto, nein, Alfred Lesser war einer der zentralen Motoren für die Modernisierung des deutschsprachigen Fußballs. Er war es, der mit Richard Girulatis den ersten Fußballtrainer in Deutschland verpflichtete. Auf seine Veranlassung wurden als Girulatis Nachfolger zwei Akteure aus der soeben gegründeten Deutschen Hochschule für Leibesübungen verpflichtet: Otto Nerz und Sepp Herberger bekamen bei Tennis Borussia freie Hand, ihre akademischen Erkenntnisse über die Trainingswissenschaften in der Praxis zu erproben. So experimentierte Otto Nerz bereits 1924 mit dem britischen WM-System, das er 1934 dann auch in der Nationalmannschaft spielen ließ – anderswo wäre das kaum möglich gewesen, denn der britische Fußball war beim Publikum und in der Publizistik verhasst. Auch der spätere Weltmeistertrainer Sepp Herberger erlernte das Trainingshandwerk bei den Veilchen.

Früh sah Lesser auch die Notwendigkeit, nicht nur den sportlichen Betrieb zu modernisieren, sondern insbesondere auch den Verein wirtschaftlich in ruhige Fahrwasser zu bringen. Dazu organisierte er in den 1920er Jahren eine ganze Reihe an prominenten Freundschaftsspielen – Zuschauereinnahmen stellten damals die einzige Einnahmequelle für die Sportvereine dar. Die Begegnungen gegen Hakoah Wien (9.3.1924), Slavia-Prag (28.4.1924), Cardiff-City (14.5.1924), Corinthians FC (12.4.1925) und viele andere in den Folgejahren mehr waren von Alfred Lesser organisiert worden. Sie legten den Grundstein für die Popularität der Berliner Veilchen und den wirtschaftlichen Erfolg. Exzellenz Alfred, wie er im Verein nur genannt wurde, flankierte diese Spiele mit einer ganzen Reihe anderer Maßnahmen, die zur Professionalisierung beitrugen. Auf seine Initiative geht die Gründung der „Propaganda-Abteilung“ zurück (heute würde man Öffentlichkeitsarbeit dazu sagen). Er organisierte zahlreiche öffentlich begangene Feste, Prominenz von Alfred Schönberg bis Hans Albers sorgte dafür, dass Tennis Borussia nicht nur in den Sportteilen der Zeitungen präsent war. Alfred veranlasste, dass u. a. die Box-Ergebnisse abends im Rundfunk verlesen wurden. Auch stellte Konsul Lesser zusammen mit dem Bankier Ernst Salinger den ersten bezahlten Geschäftsführer im deutschen Fußball ein, die Wahl fiel auf den bekannten Journalisten Carl Koppehel. Und nicht zuletzt war sein Schwager Dr. Adolf Wisotzki einer der ersten Sportärzte im deutschen wie internationalen Fußball. Alfred Lesser ist zweifellos einer der wichtigsten Modernisierer des deutschen Fußballs im Kaiserreich und der Weimarer Republik.

Im April 1933 erklärt „der größte Teil unserer jüdischen Mitglieder ihren Austritt“, so die Formulierung im Protokoll der außerordentlichen Mitgliederversammlung; der Vorsitzende Rüdiger bedauert diesen Schritt, „da sich unter diesen auch einige sehr verdienstvolle Mitglieder befinden“. Die Umstände dieses „Austritts“ lassen sich nicht mehr klären,* aber Alfred bleibt auch weiterhin ungebrochen. Er gründet die „Berliner Sportgemeinschaft 1933“, lässt sich ins Präsidium wählen; außerdem ist er im Sportbund Schild aktiv.

Wenig wissen wir über das Schicksal von Alfred Lesser, seiner Frau Tutti und ihrem Bruder Adolf nach dem April 1933. Die Lessers hatten in unmittelbarer Nachbarschaft der Synagoge am Siegmundshof 8 gewohnt, die 1939 von der GESTAPO zerschlagen worden war. Laut der Volkszählung 1939 lebten Alfred und Tutti danach in der Klopstockstraße 43. In den 1950er Jahren schrieben Tutti Lesser und Adolf Wisotzki dem Verein eine Reihe an Briefen: Alfred, „wäre er noch am Leben, [wäre] gewiss auch aus New York zu unserem Jubiläum [1952] nach Berlin gekommen.“

Alfred Lessers Enkelin Monica Fleischmann Alfred, Tutti und Adolf gelang noch nach 1939 die Flucht in die USA, wie Alfreds Enkelin Monica Fleischmann und ihr Neffe, Alfreds Urenkel, Aaron H. Marks erzählen. Seine diplomatischen Kontakte ermöglichten die erfolgreiche Ausreise noch zu diesem späten Zeitpunkt. „Als Alfred, Tutti und meine Großmutter Eva nach Amerika kamen“, erzählt Aaron, „verfügten sie über nur sehr wenig Geld. Alfred gelang es, einen ‚five and dime store‘** zu eröffnen, in dem er allerlei Kleinkram verkaufte. Sie kamen über die Runden, aber Alfred hat es niemals bewältigt, aus seinem Heimatland vertrieben worden zu sein.“ Er verstarb 1942, nur wenige Jahre nach der Flucht vor den Nazis. „Er liebte Berlin, und er liebte den Club, und es gelang ihm während der wenigen Jahre in Amerika nicht, den Verlust zu verkraften. Er wäre aber sehr stolz auf meine Großmutter Eve gewesen; sie heiratete einen Deutschen und gemeinsam gelang es ihnen, in New York ein erfolgreiches Juwelier-Geschäft zu betreiben und bestens für meine Tante und meine Mutter zu sorgen.“

Tennis Borussia freut sich außerordentlich, Kontakt zur Familie von Alfred und Tutti Lesser zu haben, die über so viele Jahre den Verein entscheidend geprägt haben! „Wir verdanken es insbesondere Alfred Lesser“, sagt der Vorstandsvorsitzende Andreas Voigt, „dass die Tennis Borussia und ihre gesamte Mitgliedschaft während der ersten 30 Jahre ihres Bestehens einen überaus liberalen und kosmopolitischen Sport-Begriff hatten, und das ist in dieser Zeit keinesfalls eine Selbstverständlichkeit. Mehr als alles andere fühlen sich die Mitglieder und Fans der Tennis Borussia diesem Erbe Alfred Lessers heute verpflichtet.“

Die Namen Lesser, Leiserowitsch und Schmutzler stehen für Tennis Borussen, die prägend für die Geschicke während ersten drei Generationen des Clubs waren. Dass ihre Familien jüngst unabhängig voneinander den Kontakt zum Verein gesucht und gefunden haben, dafür bedankt sich die Tennis Borussia sehr herzlich!

* Vgl. Jan Buschbom: Tennis Borussia Berlin: Der „Vereinsaustritt“ jüdischer Mitglieder (in: Dietrich Schulze-Marmeling, Lorenz Peiffer (Hrsg.): Hakenkreuz und rundes Leder. Fußball im Nationalsozialismus. Göttingen 2008)

** etwa: einen Sonderpostenmarkt

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